Abraham Usque und die Bibel von Ferrara

Abraham Usque und die Bibel von Ferrara

Italien als Zufluchtsort sephardischer Juden

Nach der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) und Portugal (1497) begaben sich viele Sephardim auf eine jahrelange Suche nach Zuflucht und Sicherheit. Einer der Orte, die für eine gewisse Zeit Schutz boten, war das Italien der Renaissance, ein Land, das kulturell offen, politisch zersplittert und religiös vielfältiger war, als es auf den ersten Blick scheint. Besonders die Stadt Ferrara wurde im 16. Jahrhundert zu einem bedeutenden Zentrum für die sephardische Diaspora. In diesem Umfeld wirkte auch Abraham Usque, ein bedeutender Verleger und Übersetzer, der mit der „Bibel von Ferrara“ ein bedeutendes Werk für das sephardische Judentum schuf.

Ferrara: Ein Ort relativer Sicherheit

Ferrara gehörte im 16. Jahrhundert zum Herrschaftsgebiet der Este-Dynastie, die im Vergleich zu anderen italienischen Fürstenhäusern eine relativ tolerante Politik gegenüber Juden verfolgte. Herzog Ercole II. d’Este erlaubte jüdischen Flüchtlingen, sich in seiner Stadt niederzulassen. Diese Offenheit machte Ferrara zu einem wichtigen Zufluchtsort, insbesondere für Conversos aus der iberischen Welt, die nach ihrer erzwungenen Taufe in Spanien oder Portugal nun wieder offen zum Judentum zurückkehren wollten.

In dieser Umgebung konnte sich eine aktive sephardische Gemeinde mit eigenen Schulen, Synagogen und einer florierenden Verlagstätigkeit etablieren.

Abraham Usque: Vom Converso zum jüdischen Verleger

Abraham Usque, ursprünglich als Duarte Pinhel in Portugal geboren, war selbst ein Converso, also ein zum Christentum gezwungener Jude. 1543 floh er vor der Inquisition nach Italien und ließ sich in Ferrara nieder, wo sich unter der liberalen Politik der Familie d'Este eine der größten jüdischen Gemeinden Italiens entwickelt hatte. Dort kehrte Abraham Usque zum Judentum zurück und nahm wieder seinen hebräischen Namen an. In Ferrara gründete er eine Druckerei, die sich auf jüdische Texte in ladinischer Sprache (Judeo-Spanisch) spezialisierte Diese Sprache wurde von vielen sephardischen Juden auch nach ihrer Vertreibung weiter gepflegt.

Usque verstand sich nicht nur als Verleger, sondern auch als kultureller Vermittler: Er wollte den sephardischen Gemeinden, die nach Jahrhunderten der Vertreibung verstreut in Europa und im Osmanischen Reich lebten, ihre religiösen und sprachlichen Wurzeln wieder zugänglich machen.

Die Bibel von Ferrara: Ein Werk für eine verfolgte Gemeinschaft

Das bedeutendste Werk aus Usques Druckerei ist die „Biblia en lengua española traduzida palabra por palabra de la verdad Hebrayca“, besser bekannt als die Bibel von Ferrara, die 1553 erschien. Es handelt sich um die erste vollständige Übersetzung des Tanach (des hebräischen Alten Testaments) ins Spanische, die nicht auf der lateinischen Vulgata, sondern direkt auf dem hebräischen Urtext basiert.

Die Ausgabe erschien in zwei Versionen: Eine, die dem Herzog Ercole II. d’Este gewidmet war und eine für die jüdische Leserschaft mit Widmung an Doña Gracia Nasi, eine einflussreiche jüdische Mäzenin. Die Bibel wurde in einem klaren, eleganten Spanisch verfasst, ohne rabbinische Kommentare, um sie möglichst zugänglich und lesbar zu machen.

Fazit: Geistige Entfaltung in der Diaspora

Italien war für viele sephardische Juden im 16. Jahrhundert eine Station auf der Suche nach Sicherheit, Identität und kultureller Kontinuität. Ferrara bot Raum für geistige Entfaltung und religiöse Rückkehr. In dieser Atmosphäre schuf Abraham Usque mit der Bibel von Ferrara ein Werk, das bis heute als bedeutendes Zeugnis der sephardischen Kulturgeschichte gilt.

 

Im Herbst 2025 beschäftigt sich das JCOM im Projekt DIE SCHLÜSSEL VON TOLEDO mit der Musik und Kultur der sephardischen Juden. Dieses Projekt wird in der Bildungsagenda NS - Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.

Aktuelle Konzerttermine unter www.jcom.de/konzerte.

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