Die Juden im Maurischen Spanien

Die Juden im Maurischen Spanien

Eine Blütezeit von Kultur, Wissenschaft und religiöser Toleranz

Wenn man an das mittelalterliche Spanien denkt, kommen einem oft Bilder von Rittern, Burgen und den Auseinandersetzungen zwischen den Religionen in den Sinn. Doch zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert erlebte die Iberische Halbinsel auch eine der bemerkenswertesten Perioden jüdischer Geschichte: das Goldene Zeitalter der sephardischen Juden im islamischen Al-Andalus.

Ein Klima der Toleranz und des Austauschs

Unter der Herrschaft der Mauren – muslimischer Herrscher aus Nordafrika – entwickelte sich Al-Andalus zu einem Zentrum der Wissenschaft, Kultur und Philosophie. Besonders während der Kalifate von Córdoba und später der Taifa-Königreiche herrschte ein vergleichsweise tolerantes Klima gegenüber religiösen Minderheiten.

Juden, Christen und Muslime lebten in einem Zustand, der oft als "Convivencia" beschrieben wird – einem Zusammenleben, das nicht immer konfliktfrei war, aber dennoch einen intensiven kulturellen Austausch ermöglichte. Den sephardischen Juden bot dies die Möglichkeit, in Verwaltung, Wissenschaft, Medizin und Literatur eine herausragende Rolle zu spielen.

Große Persönlichkeiten und intellektuelle Blüte

Diese Zeit brachte einige der bedeutendsten jüdischen Gelehrten hervor:

  • Samuel ibn Nagrela (Shmuel ha-Nagid) war nicht nur ein bedeutender Dichter und Talmudgelehrter, sondern auch Wesir und Militärführer des Taifa-Königreichs Granada – ein beispielloser Aufstieg für einen Juden in der mittelalterlichen Welt.
  • Moses ibn Ezra und Judah ha-Levi gelten als zwei der größten hebräischen Dichter aller Zeiten. Ihre Werke verbinden religiöse Tiefe mit weltlicher Poesie und spiegeln das Spannungsfeld zwischen jüdischer Identität und arabisch-andalusischer Kultur wider.
  • Moses Maimonides (Rambam), obwohl er etwas später in Córdoba geboren wurde und schließlich nach Ägypten floh, ist ein herausragendes Beispiel für den intellektuellen Geist dieser Epoche. Seine Werke wie "Führer der Unschlüssigen" und sein Gesetzeskodex "Mischne Tora" beeinflussten das Judentum nachhaltig.

Die Rolle der Sprache und Wissenschaft

Die sephardischen Juden waren oft dreisprachig: Sie sprachen Arabisch als Alltagssprache, benutzten Hebräisch für religiöse Texte und lernten Latein oder Romanzen zur Kommunikation mit Christen. Diese Mehrsprachigkeit machte sie zu wichtigen Vermittlern zwischen den Kulturen.

Sie übersetzten medizinische, philosophische und naturwissenschaftliche Werke aus dem Arabischen ins Hebräische und später ins Lateinische. Damit trugen sie wesentlich zur Überlieferung des antiken Wissens an das christliche Europa bei – eine Leistung, die die europäische Renaissance vorbereitete.

Wissenschaftliche Errungenschaften und bahnbrechende Ideen

In Al-Andalus blühten die Wissenschaften: Literatur, die Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie erlebten eine außergewöhnliche Hochphase, bei der sephardische Juden sowohl als Forscher als auch als Übersetzer eine Schlüsselrolle spielten:

  • Medizin: Der jüdische Arzt Hasdai ibn Shaprut, ein Berater am Hof des Kalifen von Córdoba, spielte eine wichtige Rolle bei der Einführung griechisch-arabischer Heilkunst in Europa. Maimonides verfasste medizinische Abhandlungen, die noch Jahrhunderte später an europäischen Universitäten gelesen wurden – z.B. über Asthma, Gifte und gesunde Lebensführung.
  • Astronomie: Sephardische Gelehrte beteiligten sich an der Erstellung astronomischer Tabellen (z.B. der Toledaner Tafeln), die später für die Navigation zur See und für Kalenderberechnungen in ganz Europa verwendet wurden. Der Jude Abraham bar iyya schrieb frühe Werke über Astronomie und Trigonometrie, darunter die erste bekannte Verwendung der sphärischen Geometrie im jüdischen Kontext.
  • Mathematik: Durch Übersetzungsarbeit gelangten wichtige Werke von indischen, persischen und griechischen Mathematikern über arabische Quellen in die Hände europäischer Gelehrter. Juden wie Abraham ibn Ezra vermittelten diese Konzepte ins Hebräische und Lateinische – darunter das Dezimalsystem und algebraische Methoden.
  • Philosophie und Logik: Der intensive Austausch mit der islamischen Philosophie führte zur Rezeption aristotelischer Logik im Judentum. Maimonides war hier wegweisend, indem er versuchte, die Tora mit rationaler Philosophie in Einklang zu bringen – eine Methode, die tiefgreifende Auswirkungen auf jüdisches Denken hatte.
  • Übersetzungen als Kulturbrücke: In den sogenannten "Übersetzerschulen" von Toledo wirkten auch jüdische Gelehrte maßgeblich mit. Sie übertrugen arabische Texte ins Lateinische – darunter Werke von Aristoteles, Galen oder Al-Farabi. Ohne diese Arbeit wären viele antike und orientalische Texte in Europa verloren gegangen.

Der allmähliche Niedergang

Mit dem politischen Zerfall der Taifa-Königreiche und dem Erstarken der religiös fundamentalistischen Almoraviden und später der Almohaden änderte sich die Lage für die Juden dramatisch. Ab dem späten 12. Jahrhundert verschlechterten sich ihre Lebensbedingungen erheblich – viele wurden zur Konversion gezwungen oder flohen in den christlichen Norden oder nach Nordafrika.

Fazit

Das Goldene Zeitalter der sephardischen Juden im maurischen Spanien war eine außergewöhnliche Phase religiöser Toleranz, kultureller Vielfalt und intellektueller Größe. Es zeigt, was möglich ist, wenn Menschen unterschiedlicher Glaubensrichtungen zusammenarbeiten, voneinander lernen und einander respektieren.

In einer Zeit, in der interkultureller Dialog wieder an Bedeutung gewinnt, bietet dieses Kapitel der Geschichte eine inspirierende Perspektive – und ein Vermächtnis, das uns noch heute prägt, von Philosophie über Medizin bis hin zur Astronomie.

 

Im Herbst 2025 beschäftigt sich das JCOM im Projekt DIE SCHLÜSSEL VON TOLEDO mit der Musik und Kultur der sephardischen Juden. Dieses Projekt wird in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.

Aktuelle Konzerttermine unter www.jcom.de/konzerte.

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