Der Komponist Mieczysław Weinberg

Der Komponist Mieczysław Weinberg

Der Name Mieczysław Weinberg (1919–1996) taucht erst seit einigen Jahren verstärkt in Konzertprogrammen, Aufnahmen und musikwissenschaftlichen Diskussionen auf. Lange Zeit stand er im Schatten großer Zeitgenossen wie Dmitri Schostakowitsch, doch sein eindrucksvolles Werk zeugt von einem außergewöhnlichen Lebensweg zwischen Polen, der Sowjetunion und jüdischer Identität.

Frühe Jahre in Polen

Mieczysław Weinberg wurde am 8. Dezember 1919 in Warschau als Sohn jüdischer Eltern geboren. Sein Vater war Komponist, Geiger und Leiter am Jüdischen Theater, die Familie sprach Jiddisch. Schon früh zeigte sich Weinbergs musikalisches Talent: Bereits im Alter von zwölf Jahren studierte er Klavier am Warschauer Konservatorium.

Mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 musste Weinberg als Jude aus Warschau fliehen. Seine Eltern und seine Schwester blieben in Polen zurück und wurden später im Holocaust ermordet. Weinberg selbst sprach zeitlebens wenig über dieses Trauma, doch es hinterließ Spuren in seinem Werk.

Flucht und neues Leben in der Sowjetunion

Weinbergs Flucht führte ihn zunächst nach Minsk, wo er Komposition bei Wassili Solotarjow studiert. 1941 floh er wegen des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion weiter nach Taschkent, Usbekistan. Dort komponierte er weiter und lernte bald den Komponisten Dmitri Schostakowitsch kennen, der den jungen Komponisten, von dessen ersten Sinfonie begeistert, nach Moskau holte. Die beiden verband eine lebenslange Freundschaft und künstlerische Nähe, die oft fälschlich zu der Annahme führte, Weinberg sei ein „Schostakowitsch-Schüler“. Vielmehr inspirierten und schätzten die beiden Komponisten sich gegenseitig, jeder mit seiner ganz eigenen Tonsprache.

Trotz seines Talents lebte Weinberg in Moskau eher im Schatten des offiziellen Musikbetriebs. 1953 wurde er unter Stalin nach der Uraufführung seiner „Rhapsodie über moldawische Themen“ wegen angeblicher „jüdisch-nationalistischer Verschwörung“ verhaftet. Erst nach Stalins Tod und auf Initiative Schostakowitschs wurde er wieder freigelassen.

Ein umfangreiches und vielseitiges Werk

Weinbergs Werk umfasst über 150 Kompositionen, darunter 22 Sinfonien, 17 Streichquartette sowie einige Opern, Kammermusik, Solokonzerte und Filmmusiken.

Seine Musik ist geprägt von Kontrapunktik, Dichte in der Stimmführung, oft modaler Harmonik und rhythmischer Komplexität. Melodisch verarbeitet Weinberg vielfach jüdische, osteuropäische und slawische Elemente, allerdings nicht im Sinne folkloristischer Bearbeitung, sondern in eine eigenständige Tonsprache eingebettet. Auch Einflüsse von Mahler, Schostakowitsch und Prokofjew sind erkennbar, aber stets individuell verarbeitet.

Eine Besonderheit seiner Musik ist die Balance zwischen klassischer Formstrenge und emotionaler Vielschichtigkeit. Selbst in abstrakteren Werken bleibt ein dramatischer Unterton erhalten, der häufig mit persönlichen oder historischen Kontexten in Verbindung steht – etwa mit dem Zweiten Weltkrieg, der Schoah oder seiner eigenen biografischen Erfahrung als Exilant.

Seine Oper „Die Passagierin“ (1968), die erst 2006 uraufgeführt wurde, thematisiert explizit den Holocaust. Die Handlung basiert auf dem gleichnamigen Roman von Zofia Posmysz, einer Auschwitz-Überlebenden.

Späte Anerkennung

Zu Lebzeiten wurde Weinberg in der Sowjetunion nie offiziell geächtet, aber auch nicht prominent gefeiert. Erst gegen Ende seines Lebens erhielt er etwas mehr Aufmerksamkeit, doch der internationale Durchbruch blieb ihm verwehrt. Nach seinem Tod 1996 geriet sein Werk zunächst in Vergessenheit.

Erst seit den 2000er-Jahren erlebt seine Musik eine späte Renaissance. Insbesondere die Inszenierung der Oper "Die Passagierin“ bei den Bregenzer Festspielen 2010 – die erste szenische Aufführung dieser Oper überhaupt – trug nachhaltig zur Bekanntheit des Komponisten bei. In jüngerer Zeit setzen sich vermehrt bedeutende Interpreten wie Gidon Kremer, Linus Roth und Thomas Sanderling für die Aufführung und Einspielung von Weinbergs Werken ein. Letztere beiden gründeten 2016 die Mieczysław-Weinberg-Gesellschaft, welche sich für die konzertante und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk des Komponisten einsetzt.

Das Jewish Chamber Orchestra Munich unter Daniel Grossmann veröffentlichte 2023 eine CD mit ausgewählten Werken Weinbergs, darunter auch selten gehörte kammersinfonische Stücke.

Am 15. Mai 2025 ist außerdem im Rahmen des Jubiläumskonzerts des Orchesters Weinbergs „Rhapsodie über Moldawische Themen“ mit Tassilo Probst and der Violine zu hören. Das 1949 komponierte Stück greift moldawische Volksmelodien sowie jüdische Tanzmusik auf und verbindet sie mit Weinbergs einzigartigem Kompositionsstil.

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