Eine Herausforderung der Sinne, die richtig gut tut:
Klezmer Re-Constructed – Konzert mit Videofilm in den Münchner Kammerspielen
Es geht um eine komponierte jüdische Hochzeit – Daniel Grossmann und der Komponist Moritz Gagern haben an dem Werk Nigunim ein Jahr gearbeitet. Bereits im Jahr 2018 wurde das Stück vom JCOM uraufgeführt. Nun gab es eine neue „Uraufführung“ – in der um den kunstvollen Film von Christoph Brech erweiterten Version mit dem Münchner Marionettentheater, deren Stabpuppen scherenschnitthaft die Stationen einer jüdischen Hochzeit spielen. Dazu das Grammofon als Sinnbild der Spurensuche nach den wenigen Aufnahmen, die von originaler „Klezmer-Musik“ erhalten sind.
Es ist ein schmaler Grat zwischen multimedialer Forderung und Überforderung des Publikums. Ja, sie verlangen uns Zuhörer*innen, Zuschauer*innen und, tatsächlich, Hochzeits-Gäst*innen einiges ab. Es ist diese beseelte Direktheit, diese tragschwere Leichtigkeit, die Ende April 2023 in den voll besetzten Kammerspielen alle Sinne anspricht und einen buchstäblich versetzt, teilhaben lässt an der osteuropäischen Hochzeitstradition.
Unter Grossmanns Dirigat „stellt das JCOM mit seinen kleinen wuchtigen Entladungen, die aus der eher zarten Grundierung brechen, die Vielfältigkeit der Tonsprache heraus“, findet die Neue Musikzeitung. Das ist Anspruch und Ehre zugleich für das Orchester, und ich muss schon – ob der sinn- bis fast schon übersinnlichen Darbietung – sagen: Ich habe mich ebenso gut unterhalten gefühlt, wie viel gelernt beim Eintauchen in dieses vielen von uns ja weiterhin fremde Brauchtum der Klezmer-Musik.
Was für eine im wahrsten Sinne des Wortes fröhliche Volksmusik aus dem wörtlich übersetzten „Gefäß des Liedes“! Im 15. Jahrhundert begründet, zeitlos alle Besucher*innen einnehmend und an diesem Abend als Hochzeitsgesellschaft mit Brautpaar auf dem Bildschirm integrierend, nicht liturgisch, aber durchaus religiös, mitreißend und schwelgend. So vollendend umrahmt von Brechts „Nigunim“-Marionetten, die die so feinfühlig scherengeschnitten die Auseinandersetzung mit den Klezmer-Ursprüngen spielen. Sie spielen nicht, sie spielen auf: mit Violine und Viola, Posaune und Trompete, Akkordeon und Percussion; wild, frei, pur, sehr groß und gar nicht artig. Es ist eine Zeitreise, die im heute verharrt, eine Reise nach Osteuropa, die in unser aller mit allen und allem verschmolzenen Welt verankert ist. Surreal scherenschnitthaft und doch so real verankert in unserem Hier und Jetzt. Sollte nicht im Alltag von uns allen ein Stück Klezmer mitschwingen?
EIN BLOGBEITRAG VON MARA AUS DEM P-SEMINAR ‚EIN JAHR MIT DEM JCOM‘ DER Q11 DES NYMPHENBURGER GYMNASIUMS