Kennen Sie Lidarti?

Kennen Sie Lidarti?

In der Musikgeschichte gibt es zahlreiche Komponisten, die zu ihrer Zeit geschätzt wurden, aber in Vergessenheit gerieten. Einer von ihnen ist Christian Joseph Lidarti (1730–1795), ein italienischer Komponist der Vorklassik, dessen bedeutendster Beitrag zur Musik die Vertonung hebräischer Texte war – insbesondere seine Vertonung des hebräischen Oratoriums "Esther".

Wer war Christian Joseph Lidarti?

Lidarti wurde 1730 in Wien geboren, stammte aber aus einer italienischstämmigen Familie. Nach erstem Musikunterricht bei seinem Cousin, reiste er 1751 nach Italien, um dort seine Kompositionskenntnisse zu vertiefen. Er besuchte Venedig und Florenz und lebte dann fünf Jahre als Musiklehrer und Komponist in Cortona. Dann führte ihn sein Weg nach Rom wo er Schüler von Niccoló Jommelli war. Es folgten Stationen in Bologna und Modena, bevor er sich 1784 als Musiker an der Kirche Santo Stefano dei Cavalieri in Pisa niederließ. Lidarti war mit der aus einer adeligen Familie stammenden Anna Vettoria Scorzi verheiratet, das Paar hatte sechs Kinder. Seine letzte Komposition stammt aus dem Jahr 1793, 1795 verstarb er in Pisa.

Lidarti war ein Zeitgenosse von Haydn und Mozart, doch sein Name blieb lange im Schatten dieser großen Komponisten. Er komponierte Instrumental- und Vokalmusik im Stil der frühen Wiener Klassik, wobei er sich besonders durch seine Verbindung zur jüdischen Gemeinde auszeichnete.

Das hebräische Oratorium "Esther"

Lidartis wohl berühmtestes Werk ist seine hebräische Version des Oratoriums "Esther", das auf dem biblischen Buch Esther basiert. Das Besondere an dieser Komposition ist, dass der Text vollständig auf Hebräisch verfasst ist. Dies war ein außergewöhnlicher Umstand, da Oratorien in dieser Zeit meist in Latein, Italienisch oder Deutsch komponiert wurden.

Der Hintergrund dieses Werkes ist faszinierend: Der Auftrag dafür kam von Jacob Raphael Saraval (1707-1782), dem Rabbiner von Mantua und Venedig. Der wollte das Werk, dessen Libretto er selbst angelehnt an Händels Oratorium verfasste, als Werk für das Purimfest haben, obwohl die Aufführungsmöglichkeiten kompliziert waren. Einige Tage vor Purim 1774 bat Saraval die Behörden des Ghettos von Mantua um die Erlaubnis, dass seine Schüler „eine Art Oper, nach einer biblischen Geschichte“ aufführen dürften. Er erhielt die Erlaubnis, unter der der Bedingung, dass Nichtjuden von der Aufführung ausgeschlossen wären - mit der Ausnahme der beteiligten Musiker und Kostümbildner!

So ist Lidartis "Esther" ein bemerkenswertes Beispiel für die Synthese von jüdischer Kultur und europäischer Musiktradition.

Wiederentdeckung und heutige Bedeutung

Lidartis Werke gerieten über Jahrhunderte in Vergessenheit. Erst in den 1990er-Jahren wurde das Manuskript seines hebräischen Oratoriums "Esther" in der Bibliothek der Universität Cambridge wiederentdeckt. Zuvor war nur das Libretto bekannt, das in der Bibliothek der (sephardisch-)portugiesischen jüdischen Gemeinde von Amsterdam aufbewahrt wurde. Seit seiner Wiederentdeckung hat das Werk eine neue Wertschätzung erfahren, insbesondere durch Aufführungen von Spezialensembles für historische Musik.

Neben "Esther" sind einige von Lidartis Kammermusikwerken, Sonaten und Sinfonien erhalten geblieben. Diese zeigen seine meisterhafte Beherrschung der klassischen Musikform, die er mit seinem eigenen Stil verband.

Fazit

Christian Joseph Lidarti ist ein Komponist, der es verdient, aus der Vergessenheit geholt zu werden. Seine Musik verbindet jüdische Tradition mit europäischer Klassik und ist ein faszinierendes Beispiel für kulturellen Austausch im 18. Jahrhundert. Wer sich für klassische Musik und jüdische Musikgeschichte interessiert, sollte sich seine Werke unbedingt anhören – insbesondere das Oratorium "Esther", das ein einzigartiges musikalisches Juwel darstellt.

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