Das Gebet des Gedenkens und der Erhebung
Das Kaddisch ist eines der bekanntesten Gebete des Judentums. Oft wird es mit Trauer, Beerdigungen und dem Gedenken an Verstorbene assoziiert, dabei enthält der Text selbst kein einziges Wort über Tod oder Verlust. Stattdessen ist es ein Lobgebet, das den Namen Gottes erhebt und seine Größe preist.
Ursprung und Bedeutung
Das Kaddisch entstand vermutlich in der Zeit des Zweiten Tempels (ca. 500 v. Chr. bis 70 n. Chr.) und ist sowohl in aramäischer als auch in hebräischer Sprache verfasst. Wörtlich bedeutet „Kaddisch“ so viel wie „Heiligung“. Es geht darum, Gottes Namen zu „erhöhen und zu heiligen“.

Die verschiedenen Formen des Kaddisch
Es gibt mehrere Versionen des Kaddisch, die je nach Anlass im Gottesdienst gesprochen werden:
Chatzi Kaddisch (Halbes Kaddisch): Das ursprüngliche Kaddisch ohne Zusatz.
Kaddisch Schalem (Vollständiges Kaddisch): Das vollständige Kaddisch wird am Ende größerer Gebetsabschnitte gesprochen.
Kaddisch de-Rabbanan: Das „Kaddisch der Rabbiner“ wird nach dem Studium religiöser Texte gesprochen.
Kaddisch Jatom (Trauerkaddisch): Das „Kaddisch der Waisen“ wird von Hinterbliebenen gesprochen.
Gerade das Trauerkaddisch hat eine besondere emotionale Kraft: Es wird täglich bis zu elf Monate nach dem Tod eines Elternteils rezitiert sowie jährlich zum Todestag (Jahrzeit). Dabei geht es nicht darum, den Verstorbenen direkt zu erwähnen, sondern darum, durch das Lob Gottes dessen Namen zu erhöhen.

Das Kaddisch in der Musik
Die spirituelle Tiefe und emotionale Intensität des Kaddisch hat zahlreiche Komponist:innen inspiriert, es musikalisch zu interpretieren. Diese Vertonungen reichen von traditionell kantoralen Melodien bis hin zu großen sinfonischen Werken.
Traditionelle liturgische Musik
In der jüdischen Liturgie wird das Kaddisch oft vom Kantor (Chasan) vorgetragen, teils schlicht rezitiert, teils kunstvoll gesungen, besonders in sephardischen und aschkenasischen Gemeinden. Die melodische Gestaltung variiert stark je nach regionaler Tradition.
Klassische Vertonungen
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Maurice Ravel – „Kaddish“ (Deux mélodies hébraïques, 1914):
Ein besonders bekanntes Kunstlied, ursprünglich für Gesang und Klavier. Ravel kombiniert jüdische Melodik mit französischer Klangsprache. Das Stück ist eine der beliebtesten Konzertfassungen des Gebets.
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Leonard Bernstein – „Kaddish Symphony“ (Symphony No. 3, 1963):
Diese monumentale Sinfonie für Sprecher, Chor, Orchester und Solosopran wurde dem Gedenken an John F. Kennedy gewidmet. Bernstein ringt in diesem Werk mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Gott, zwischen Klage, Zweifel und Hoffnung. Es ist eine radikal moderne und zutiefst persönliche Auseinandersetzung mit dem Kaddisch als geistiger Haltung.
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Mieczysław Weinberg – Sinfonie Nr. 21 „Kaddish“ (1992):
Der polnische Komponist Mieczysław Weinberg setzt sich in seiner letzten vollendeten Symphonie ebenfalls mit dem Gebet auseinander.
Besonders in der Klezmer- und zeitgenössischen Musik finden sich viele weitere Beispiele für Kaddisch-Vertonungen, oft als Ausdruck der Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte und Identität.

Eine Brücke zwischen den Lebenden und den Toten
Das Kaddisch erfüllt eine doppelte Funktion: Es ist sowohl Ausdruck der Hoffnung als auch ein Akt der Verbindung. Für die Hinterbliebenen bietet es eine strukturierte Möglichkeit der Trauerverarbeitung und spirituellen Orientierung. Für die Verstorbenen symbolisiert es die bleibende Verbundenheit und das Gedenken durch die Gemeinschaft. Das Gebet wird nie allein gesprochen, sondern immer in Gemeinschaft.
Trotz seiner engen Verbindung zur Trauer ist das Kaddisch letztlich ein Gebet für das Leben: Für das Weiterleben der Erinnerung, für die Würde der Verstorbenen und für den Trost der Lebenden. In der Musik findet das Kaddisch neue Ausdrucksformen, die über religiöse Kontexte hinaus Menschen weltweit bewegen und verbinden.