Zeitgenössische jüdische Literatur

Zeitgenössische jüdische Literatur

Jüdische Autoren gibt es weltweit und sie schreiben in vielen Sprachen. International am erfolgreichsten und bekanntesten sind allerdings amerikanische und israelische Schriftsteller.

Die zeitgenössische jüdische Literatur spiegelt die vielfältigen Erfahrungen jüdischen Lebens in der modernen Welt wider. Von Erzählungen, die in der historischen Erinnerung verwurzelt sind, über die Jahrtausende andauernde Erfahrung der Diaspora bis zur Erforschung der eigenen Identität in einer globalisierten Gesellschaft bietet dieses Literatur eine große Bandbreite an Themen, Stilen und Formen.

Stimmen der zeitgenössischen jüdischen Literatur

Eines der charakteristischen Merkmale der zeitgenössischen jüdischen Literatur ist die große Vielfalt an Stimmen. Autoren wie Nicole Krauss, Jonathan Safran Foer und Michael Chabon sind für ihre zutiefst persönlichen und doch universell wirkenden Werke bekannt geworden. Krauss' The History of Love (Die Geschichte der Liebe) und Foers Everything Is Illuminated (Alles ist erleuchtet) verflechten persönliche Erzählungen mit dem breiteren historischen Kontext und schaffen so ein Gefühl von Kontinuität im Wandel. Chabons The Amazing Adventures of Kavalier & Clay (Die erstaunlichen Abenteuer von Kavalier & Clay) erforscht universale Themen wie Freundschaft und Kreativität vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und dem heute wieder aktuellen Topos der Flucht vor Gewalt.


Auch aufstrebende Stimmen leisten einen wichtigen Beitrag. Autorinnen wie Dara Horn und Taffy Brodesser-Akner bringen neue Perspektiven ein, indem sie zeitgenössische Themen durch eine jüdische Brille betrachten. Horns Eternal Life (Ewiges Leben) befasst sich mit den Themen Glaube und Sterblichkeit, während Brodesser-Akners Fleishman Is in Trouble (Fleishman steckt in Schwierigkeiten) eine scharfe, witzige Sicht auf moderne zwischenmenschliche Beziehungen bietet.

Themen zeitgenössischer jüdischer Literatur

Die zeitgenössische jüdische Literatur setzt sich mit Themen wie Erinnerung, Identität und Vertreibung auseinander. Der Holocaust ist nach wie vor ein zentrales Motiv, das auf immer wieder neu ergreifende Weise das historische Trauma und die Widerstandsfähigkeit des jüdischen Volkes beschreibt. Werke wie Art Spiegelmans Graphic Novel Mouse (Maus) und neuere Romane wie Julie Orringers The Invisible Bridge (Die unsichtbare Brücke) halten diese Erinnerungen lebendig und sorgen dafür, dass sie auch neue Generationen eine Ahnung der Dimension des Holocaust bekommen.


Neben dem Rückblick und der Beschäftigung mit der Shoah erforschen zeitgenössische Autoren die Komplexität der modernen jüdischen Identität. Fragen wie Assimilation, kulturelle Bewahrung und die Überschneidung von Tradition und Moderne sind wiederkehrende Themen. Nathan Englanders Kurzgeschichten-Sammlung For the Relief of Unbearable Urges ( Zur Linderung unerträglichen Verlangens) beispielsweise befasst sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen religiösen Verpflichtungen und persönlichen Wünschen, während Nicole Krauss' Forest Dark (Waldesdunkel) die spirituelle Suche nach dem Sinn des Lebens untersucht.

Innovationen in Form und Erzählstil

Die Verwendung von magischem Realismus, fragmentierten Erzählungen und Metafiktion ermöglicht es den Autoren, jüdische Themen auf einzigartige und fesselnde Weise zu erkunden. David Grossmans A Horse Walks into a Bar (Kommt ein Pferd in die Bar) beispielsweise nutzt eine Stand-up-Comedy-Routine, um sich mit tiefen emotionalen und historischen Narben auseinanderzusetzen, während Jonathan Safran Foers Here I Am (Hier bin ich) eine vielschichtige Erzählung verwendet, um Familie und Identität im heutigen Amerika literarisch zu beleuchten.

Zeitgenössische deutsch-jüdische Literatur

Die deutsch-jüdischen Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich in zwei Generationen unterteilen: die älteren (Peter Weiss, Wolfgang Hildesheimer, Stefan Heym, Erich Fried, Ilse Aichinger, Paul Celan oder Nelly Sachs, um nur einige zu nennen) haben den Holocaust noch miterlebt und ihr Schreiben steht deshalb größtenteils unter dem Schatten der Shoah. Für Autoren der jüngeren Generation stand eine andere Fragestellung im Vordergrund: Was bedeutet es, im Land der Täter zu leben, in der Sprache der Täter zu schreiben und als Nachfahren von Verfolgten in Deutschland zu leben? Autoren wie Barbara Honigmann, Jurek Becker oder auch Robert Schindel beschäftigen sich in ihren Werken mit dieser Thematik.

Im 21. Jahrhundert prägt die jüdischen Autorinnen und Autoren im deutschen Sprachraum allerdings eine andere Erfahrung: der Großteil von ihnen ist selbst nach Deutschland eingewandert, so z.B. der in Prag geborene Maxim Biller oder die Autoren, deren Familien als Kontingentsflüchtlinge aus dem zerfallenden Sowjetreich nach Deutschland kamen wie Alina Bronsky, Tanja Maljartschuk, Sasha Mariana Salzman, Lena Gorelik, Wladimir Kaminer, Marina Frenk oder Dmitrij Kapitelman. Ihre Werke sind weniger vom Holocaust geprägt, dafür beschreiben sie in ihren Büchern ihre eigenen Migrationserfahrungen. Zentral sind dabei die Themen Identität und Zugehörigkeit: was bedeutet es, verschiedene Identitäten zu haben? wie unterscheiden sich die Erfahrungen verschiedener Einwanderer-Generationen? und: wie lebt man als Minderheit in einer nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft?

Eine aktuelle Besonderheit deutsch-jüdischer Literatur sind Israelis, die zeitweise oder längerfristig in Deutschland leben und hier schreiben und veröffentlichen. Zu ihnen gehört Tomer Gardi, der mit seinem zweiten Roman Broken German am Bachmann Wettbewerb in Klagenfurt teilgenommen hat. Das Buch war ein großer Erfolg und wurde für das Theater adaptiert und gewann einen Hörspielpreis.

Fazit

Die zeitgenössische jüdische Literatur entwickelt sich ständig weiter und spiegelt die dynamischen und vielfältigen Erfahrungen des heutigen jüdischen Lebens wider. Mit einer Vielzahl von Stimmen und innovativen Erzähltechniken bieten diese Werke tiefe Einblicke in Themen wie Erinnerung, Identität und Widerstandsfähigkeit. Ob sie nun die Vergangenheit wieder aufleben lassen oder sich mit der Komplexität der Gegenwart auseinandersetzen: zeitgenössische jüdische Autoren bilden eine literarische Brücke, die den Leser mit dem facettenreichen Wesen der jüdischen Kultur und den besonderen Erfahrungen jüdischer Menschen heute verbindet.

 

Einige besonders erfolgreiche Werke deutscher, israelischer und amerikanischer jüdischer Autoren haben wir für Sie zusammengestellt. Wenn Sie weitere Lesetipps haben, schreiben Sie uns gerne an info@jcom.de.

 

 

WERKE ZEITGENÖSSISCHER DEUTSCH-JÜDISCHER AUTOREN

"Unverschämt jüdisch" von Barbara Honigmann
Barbara Honigmann ist eine Klasse für sich: Ob sie von einer lebhaften Begegnung mit einem jüdischen Geschäftsmann im Flugzeug nach New York erzählt, die in der Frage gipfelt: Worüber reden eigentlich Gojim? Oder ob sie davon berichtet, wie sie als Vierzehnjährige in Ost-Berlin den Existentialismus für sich entdeckte. Immer tut sie es mit ihrem feinen Sinn für Komik, und wenn nötig, offen und direkt. Ihr Lebensweg führte sie aus der DDR in den Westen, von Deutschland nach Frankreich, aus der Assimilation in das Tora-Judentum.

"Der gebrauchte Jude. Selbstporträt" von Maxim Biller
Billers autobiografisches Buch erzählt wie ein Roman die tragikomische Geschichte eines Juden, der in einem Land Schriftsteller wird, in dem es keine Juden mehr geben sollte. Dieses Selbstporträt zeigt, wie man sich selbst auf die Spur kommt - und seinen Freunden und Feinden. Bei Maxim Biller sind es die Juden und die Deutschen, die Reihenfolge spielt keine Rolle. Er erzählt von einem jungen Mann, der immer wieder hört, er solle nicht darauf bestehen, der zu sein, der er ist, und spätestens dann allen klarmacht, dass er nicht zu bremsen ist, als er mit dem Schreiben beginnt. Was der Leser bekommt, ist die Geschichte vom Künstler als jungem Mann, der nach seinem Ort im Leben sucht.

"Der falsche Gruß" von Maxim Biller
Maxim Biller erzählt die Geschichte von einem, der irre wird an Deutschland, weil er um jeden Preis hinein will: in die Gesellschaft, ins Scheinwerferlicht des Betriebs, ins Valhalla der neuen wiedervereinten Nation. Der falsche Gruß ist eine bitterböse Studie über Opportunismus, neuen Nationalismus und die Dinge, die man wieder sagen können muss.

"Der Russe ist einer, der Birken liebt" von Olga Grjasnowa
Das Romandebüt der Schriftstellerin setzt sich mit der Einwanderung einer jungen Jüdin, die in den 1990er Jahren mit ihrer Familie als Kontingentflüchtling aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland einwandert, auseinander: Als Immigrantin musste Mascha in Deutschland früh die Erfahrung der Sprachlosigkeit machen. Nun spricht sie fünf Sprachen fließend und plant gerade ihre Karriere bei der UNO, als ihr Freund Elias schwer krank wird. Verzweifelt flieht sie nach Israel und wird schließlich von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Olga Grjasnowa erzählt die Geschichte einer Generation, die keine Grenzen kennt, aber auch keine Heimat hat.

"Hochzeit in Jerusalem" von Lena Gorelik
Anja, die russische Jüdin, die seit ihrer Kindheit in Deutschland lebt, fährt mit ihrem Freund Julian nach Israel, um ihm bei dessen Suche nach seinen Wurzeln zu helfen. Konfrontiert wird sie dabei nicht nur mit der Frage, was Jüdischsein in Deutschland heute bedeutet, sondern auch mit ihrer liebenswert-nervigen Familie, die einen guten Vorwand gefunden hat, sich der Reise spontan anzuschließen.

"Wer wir sind" von Lena Gorelik
Ein Mädchen reist mit ihrer Familie aus St. Petersburg nach Deutschland aus, in die Freiheit. Dafür lässt sie vieles zurück, die Ausreise bedeutet auch das Ende ihrer Kindheit. Im Westen merkt die Elfjährige, dass sie jetzt eine andere und 'die Fremde' ist. Auch für die Eltern und die Großmutter ist der Neuanfang schwer - und über das Ankommen in der neuen Heimat wird der Abstand zwischen den Generationen zueinander immer größer. Wer wir sind erzählt, wie eine Frau zu sich findet – und wer wir im heutigen Deutschland sind.

"Ewig her und gar nicht wahr" von Marina Frenk
In diesem Roman erzählt Protagonistin Kira die Geschichte ihres bisherigen Lebens, in dem es aktuell ein kleines Kind, eine Karrierepause und Beziehungsprobleme gibt; außerdem wird sie von den Traumata ihrer kriegsgebeutelten Familie und einer Fehlgeburt heimgesucht. Mit Sprüngen zwischen Zeiten, Orten, unmittelbaren Ereignissen und Fantasien entsteht eine außergewöhnliche Erzählung, die mal bitter und dann plötzlich zärtlich, flink und komisch sein kann.

"Eine Formalie in Kiew" von Dimitrij Kapitelman
Eine Formalie in Kiew ist die Geschichte einer Familie, die einst voller Hoffnung in die Fremde zog, um ein neues Leben zu beginnen, und am Ende ohne jede Heimat dasteht. Erzählt mit dem bittersüßen Humor eines Sohnes, der stoisch versucht, Deutscher zu werden.

"Broken German" von Tomer Gardi
Broken German von Tomer Gardi ist ein innovativer Roman, der in bewusst fehlerhaftem Deutsch geschrieben ist. Der israelische Erzähler schildert seine Erlebnisse als Migrant in Deutschland. Durch humorvolle und ernste Episoden reflektiert Gardi über Identität, Migration und historische Traumata wie den Holocaust.

 

WERKE ZEITGENÖSSISCHER ISRAELISCHER AUTOREN

"Ssipur al ahava we-choschech" (Eine Geschichte von Liebe und Finsternis) von Amos Oz
Die Memoiren von Amos Oz erzählen von seiner Kindheit in Jerusalem, der Geschichte seiner Familie, der Geburt des Staates Israel und seinem Erwachsenwerden. Das Buch in einer eigenen, lyrischen Prosa ist eine ergreifende Reflexionen über Identität und Zugehörigkeit.

"Ischa borachat me-bessora" (Eine Frau flieht vor einer Nachricht) von David Grossman
Ein Roman folgt der die Reise einer Mutter durch Israel, die vor der Nachricht vom Schicksal ihres Sohns flieht. Grossman untersucht die Auswirkung des Krieges auf ganze Familien und beschäftigt sich mit Liebe und Verlust sowohl in persönlichen, als auch politischen Dimensionen.

"Gader Haya" (Wir sehen uns am Meer) von Dorit Rabinyan
Romeo und Julia im heutigen Israel: Die Liebesgeschichte um Liat, eine israelische Schriftstellerin, die eine realpolitische Kompromissposition vertritt, und den Künstler Chilmi, der von einem binationalen Staat träumt, ist mit zahlreichen, differenzierten Streitgesprächen über den Nahost-Konflikt angereichert. Die Beziehung zerbricht schließlich an der Lebensrealität und dem Verhältnis zwischen Israelis und Arabern. Dorit Rabinyans Roman Wir sehen uns am Meer wurde vom israelischen Schulministerium als Bedrohung für die "getrennten Identitäten" von Juden und Arabern von der Lektüreliste für Gymnasien gestrichen, was international große Aufmerksamkeit für das Buch erweckte.  

 

WERKE ZEITGENÖSSISCHER AMERIKANISCH-JÜDISCHER AUTOREN

"Everything Is Illuminated" (Alles ist erleuchtet) von Jonathan Safran Foer
Ein Roman, in dem sich die Suche eines jungen Amerikaners nach der Frau, die seinen Großvater im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine gerettet hat, mit den komischen Missgeschicken eines ukrainischen Übersetzers verbindet. Der Roman wird für seinen originellen Erzählstil und seine Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität gefeiert.

"Extremely Loud and Incredibly Close" (Extrem laut und unglaublich nah) von Jonathan Safran Foer
Der Roman erzählt die Geschichte eines Jungen namens Oskar Schell, der sich auf die Suche nach einem geheimnisvollen Schlüssel macht und dabei quer durch New York City zieht. Dieser gehörte seinem Vater, der bei den Anschlägen vom 11. September 2001 ums Leben kam. Es geht um Trauer, Trauma und die Suche nach dem Sinn.

"The History of Love" (Die Geschichte der Liebe) von Nicole Krauss
Ein Roman, der die Geschichten eines älteren jüdischen Einwanderers in New York und eines jungen Mädchens in Argentinien miteinander verwebt, die durch ein geheimnisvolles Buch mit dem Titel „Die Geschichte der Liebe“ verbunden sind. Krauss erkundet Themen wie Liebe, Verlust und Erinnerung.

"My Name Is Asher Lev" (Mein Name ist Asher Lev) von Chaim Potok
Ein Roman über einen chassidischen Jungen in Brooklyn, der sein künstlerisches Talent entdeckt, das mit den Traditionen und Erwartungen seiner Gemeinschaft kollidiert. Potok schreibt über einen klassischen Vater-Sohn Konflikt, Probleme des Erwachsen-Werdens und die Möglichkeiten des persönlichen künstlerischen Ausdrucks, der Religion und der Identität.

"The Plot Against America" (Verschwörung gegen Amerika) von Philip Roth
In einem alternativen Geschichtsverlauf besiegt der Held der Luftfahrt, Charles Lindbergh bei den Präsidentschaftswahlen 1940 Franklin D. Roosevelt. Dies führt zu einem Anstieg der antisemitischen Politik in Amerika. Roths Beschreibung von Paranoia und politischem Extremismus ist nach wie vor aktuell - obwohl es geschrieben wurde, bevor Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde.

"The Yiddish Policemen's Union" (Die Vereinigung jiddischer Polizisten) von Michael Chabon
Ein Kriminalroman, der in einer alternativen historischen Welt spielt, in der sich Juden, die während des Zweiten Weltkriegs aus Europa fliehen, in Alaska niederlassen. Chabon vermischt Elemente des Noir-Krimis mit jüdischer Kultur und erforscht Themen wie Identität und Exil.

"The Amazing Adventures of Kavalier & Clay" (Die erstaunlichen Abenteuer von Kavalier & Clay) von Michael Chabon
Dieser Roman begleitet zwei jüdische Cousins in der Comic-Industrie während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Er wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Besonders gelobt wird die detaillierte Erzählweise und die genauer Beschreibung der Problematiken jüdisch-amerikanischer Identität.

 

Back to blog